Travellers in the world, Царь-ванна, CC BY-SA 4.0
Um eine Vorstellungskraft von der Größe der Granitwanne zu bekommen, muss ein Mensch dazu gestellt werden. Man sieht den Granituntergrund und Eisenstützen der Wanne. Das Becken "schwebt" geradezu auf den langsam vor sich hin rostenden Eisenträgern.
Es gibt ein geflügeltes russisches Sprichwort: Was haben Zarenkanone, Zarenglocke und Zarenbad gemeinsam? Keine dieser Artefakte sind jemals für den vorgesehenen Zweck verwendet worden: Die Zarenkanone wurde nie abgefeuert, die Zarenglocke wurde nie geläutet und angeblich hat das Zarenbad nie jemand genutzt. An dieser Überlieferung könnte etwas dran sein. Auf das "Zarenbad" komme ich heute zu sprechen.
In St. Petersburg, am Rande des Babolovsky Parks befinden sich die Ruinen des sogenannten Babolovsky "Palastes" (auch Babolovo oder Babolovka genannt), nur 2 km vom Puschkin-Palast entfernt.
Im Vergleich zu den Palästen und Parks der Zaren Alexander und Katharina mit zahlreichen hochwertigsten architektonischen Bauten und Skulpturen ist der Babolovsky Park eher bescheiden, fast schon verwahrlost. Die Geschichte des Babolovsky-Herrenhauses (man nennt ihn offiziell Palast) geht bis auf die 80er Jahren des 18. Jahrhunderts zurück und bezieht sich namentlich auf die Nähe des Dorfes Babolovo, das ein paar Kilometer von Puschkin zwischen Sümpfen und bewaldeter Ebene entfernt lag. Gouverneur Grigori Potemkin nutzte das ursprüngliche Herrenhaus mit einem kleinen gepflegten Garten ringsum.
Die Gegend ist heute verwahrlost. Das ehemalige Herrenhaus bzw. Mini-Palast verfällt.
Wenn man heute durch den Mauerbruch in den achteckigen Turm blickt, entdeckt man eine riesige Schüssel aus rotem Granit – praktisch einen Monolith-Pool mit kleinem Abflussloch. Nach offizieller Lesart sollte dieses Becken das Zentrum des Badehauses zieren, einem „Kaltbad“-Pavillon mit gewölbtem Dach, das im Sommer zur Erfrischung des Monarchen Alexander gedient haben soll.
Zur Schüssel selbst: Mit ihr begann auch das ganze Drumherum. Laut offizieller Version brachte man ursprünglich von einer finnischen Insel einen Granitfelsen mit einem Gewicht von mehr als 160 Tonnen an Ort und Stelle. 120 Tonnen seien bei der Arbeit zur Fertigstellung der Wanne als Abfall entsorgt worden. Die Arbeiten dauerten angeblich 10 Jahre und wurden pünktlich in höchster Qualität abgeschlossen. Das Ergebnis ist eine polierte Granitbadewanne in den Maßen: Höhe 196 cm, Tiefe 152 cm, Durchmesser 533 cm. Netto-Gewicht: 48 Tonnen. Um sie zu füllen, benötigt man schlappe 15-16 Kubikmeter Wasser (mit ingesamt etwa 14,6 weiteren Tonnen Gewicht). Die Stärke der Wände der Schüssel beträgt mindestens 45 cm.
Man darf also lt. offizieller Aussage davon ausgehen, dass der 160 Tonnen-Brocken über die Newa (Die Newa ist ein 74 km langer Strom in Russland, der vom Ladogasee in die Newabucht der Ostsee fließt. Sie durchquert dabei Sankt Petersburg) laut Überlieferung auf einem Lastkahn aus Finnland herbeigeschafft worden sein soll? Aus meiner laienhaften Sicht ist das lächerlich. Selbst für den Fall, dass die Brocken-Theorie nicht stimmt und das gute Stück bereits im Steinbruch aufgearbeitet wurde, um das Bruttogewicht auf 1/4 zu reduzieren, dürfte diese Belastung für den damaligen Schifffahrtsverkehr kaum zu bewältigen gewesen sein. Also gibt es erst einmal Fragen. Da hier kaum Unterlagen über die Beschaffung vorliegen, bestünde ja auch die Möglichkeit, dass diese Riesenschüssel in den umliegenden Sümpfen gefunden wurde und weitaus älter ist als angenommen? Gewiss, das wäre auch nur ein weiterer Puzzlestein zu einem vollkommen neuen und genauso rätselhaften Ansatz einer Erklärung.
Postkarte vom vorigen Jahrhundert mit einem Foto des noch intakten Badehauses.
Mit perfekter geometrischer Präzision wurde in der Mitte der Wanne eine Bohrung für den Abfluss gesetzt (man darf sich selbstverständlich darüber streiten, ob es überhaupt ein Loch gab oder ob das Loch erst viel später "gesetzt" wurde) …. Es ist bemerkenswert, dass man bis heute darauf besteht, dass es sich um eine Reinigungseinrichtung bzw. Badehaus handelte. Die Entfernung zum eigentlichen Alexander-Palast betrug immerhin 2 Kilometer. Hatten die Monarchen wirklich so große Lust auf Abkühlung, um sich vorher noch 2 km weit durch die vermeintliche Hitze zu "quälen"? Vielleicht war ja für dieses Granitmonster eine ganz andere Verwendung vorgesehen?
Es gibt keine offiziell nachweisbaren Aufzeichnungen zur Herstellung der „Wanne“. Angeblich wurde ein Händler und Steinmetz mit dem Namen Suchanow Samson Ksenofontovich (1768 - 1840; s. Bild links) mit der Beschaffung/Herstellung der Wanne beauftragt, was offiziell in den Zeitraum von 1811-1818 fiel. Dieser Suchanow war offenbar auch für die Fertigstellung des Herrenhauses zuständig, das es vorher schon in einer Holzfassung gab und erst später in eine gemauerte Version für Schäferstündchen von Alexander I. mit der Bänkerstochter Sophia Velho umgebaut wurde. Das davor existierende Holzgebäude wich zwischen 1782 und 1785 einem gotischen Bau des Designers Ilya Neyelov. Wie gesagt: Offiziell deklarierte man es mit seinen 7 Räumen im Erdgeschoss als Sommerhaus. Baulich beeindruckend in diesem Zusammenhang: Das gesamte Anwesen wurde um die 48 Tonnen Wanne herum gebaut. Die Pavillionerweiterung des Palastes um das Badehaus erfolgte zwischen 1824-1829 durch den Architekten Vasiliy Petrovich Stasov. Was den Steinmetz Suchanow angeht, rätselt man noch heute über seine Herkunft.
Die inoffizielle Version spricht eher von einem Werk der Freimaurer. Ihre Unterstützer sehen den Babolovo Palast mit der (Opfer-?)„Schale“ als Hauptfreimaurer-Tempel. Man entdeckt in der umliegenden Landschaft des Palastes zahlreiche Freimaurersymbole. Da die Freimaurer zur damaligen Zeit vor allem aus Frankreich kamen, haben die französischen Freimaurer in Russland damals eher heimlich operiert. Möglicherweise handelte es sich hier ja wirklich um einen Freimaurertempel? Allerdings wird diese Theorie nicht weiter thematisiert, man hält sich an die offizielle Version des „starken Russland“ dieser Zeit.
Ein anderer Russe, Yu Babikov, äußert sogar die Vermutung, dass die Schüssel als Sender von Mikrowellenstrahlungen eingesetzt wurde, um als Kommunikationsanlage große Entfernungen zu überbrücken. Nähere Erklärungen zu dieser Theorie sind mir nicht bekannt.
In der Ukraine hatte man 2011 aus einem See ebenfalls eine Steinwanne gezogen.
Es handelte sich um eine Badewanne, die zu einem alten Krankenhaus gehörte. Sie wurde aus Sandstein hergestellt und weist offenkundige Stellen manueller Verarbeitung auf – zurückzuführen auf handwerkliche Möglichkeiten dieser Zeit. Selbstverständlich ist Sandstein (man vermutete zuerst, es handele sich um Marmor) ohnehin einfacher zu bearbeiten als Granit.
Dieses gefundene Objekt verfügt übrigens über eine Ablauföffnung. Das Loch wurde so hergestellt, wie es eher für Badewannen zu dieser Zeit üblich war. Herstellung: 1837. Kein Vergleich zur Verarbeitungsqualität der Wanne im Babolovsky-Palast (leider ist die Abbildung aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar).
Die berühmte Granit-Wanne im Babolovsky Palast blieb bis heute intakt, obwohl das Gebäude bereits in der Oktoberrevolution zerstört wurde. Die Nazis sollen angeblich später versucht haben, die Wanne mitgehen zu lassen, was aufgrund des Gewichts scheiterte.
Es bleiben bis heute die Fragen unbeantwortet, wie zum einen der Felsen dorthin gebracht worden sein soll und wie man es geschafft hat, eine solche Wanne in entsprechender Perfektion zu fertigen. Zu der Zeit gab es keine Hartmetallwerkzeuge, bestenfalls Stahlwerkzeuge, die nach 3-4 Einsätzen (Bewegungen) hätten zumindest wiederholt geschärft werden müssen. Abgesehen von seiner heute perfekten geometrischen Form. Wenn man es nicht besser (?) wüsste: Das Ganze sieht nach einer maschinellen Bearbeitung aus (einschließlich einer Möglichkeit zur Politur der Oberfläche in Hochgeschwindigkeitstechnik). Es ist nur schwer bis gar nicht vorstellbar, dass so etwas auf manuellem Weg gefertigt worden sein soll.
Es gibt diebezüglich nur spärliche und widersprüchlige Quellen. Es ist auch den Ägyptern nicht gelungen, eine vergleichbare Wanne herzustellen. Man könnte diesen Behälter von seiner Baukunst und der Gewichtsklasse mit den Sarkophagen der Cheopspyramide vergleichen.
Mit heutigem Werkzeug, Diamantschneidegeräten und Wasserstrahlschneidemaschinen wäre das immer noch eine echte Herausforderung. Aber wie sollte das damals möglich gewesen sein?
So sieht eine moderne Fertigung einer Marmorbadewanne mit CNC gesteuerter Fräse aus:
Man könnte fast annehmen, die "Schale" oder "Wanne" wurde über eine riesige Drehmaschine hergestellt.
Natürlich gibt es römische Wannen, Taufbecken, monolithische Schalen (Vatikan) und Sarkophage aus Marmor oder Porphyr in ca. Körpergröße – auch hier rätselt man bis heute über die Präzision der Arbeiten. Aber ist es wirklich denkbar, dass dieses Artefakt das Ergebnis einer handwerklichen russischen Tätigkeit war? Viele denken: Eher nicht. Auch die Dimensionen dieser Wanne sind grotesk unrealistisch.
Noch ein paar Bemerkungen zum Zustand der Umgebung: Man darf sich getrost die Frage stellen, warum sich niemand die Mühe macht, die Wanne vom ringsum einstürzenden Gemäuer zu schützen? Die Situation ist wieder einmal äußerst merkwürdig. Lieblos aufgestellte Stahlträger versuchen, das Schlimmste zu verhüten. Alles scheint dort bewusst dem Verfall ausgesetzt zu sein. An einer Deplatzierung dieser monolithischen Arbeit hat scheinbar auch niemand Interesse. Möchte man hier unter allen Umständen vermeiden, dass sich zu viele Touristen Fragen stellen, die wir uns stellen?