Der Mont Castre ist ein auffälliges kleines Bergmassiv von 130 Metern Höhe in einem ansonsten flachen Gelände in der Normandie. Seit prähistorischer Zeit ist dieser Berg im Fokus der menschlichen Besiedlung. Die Wissenschaft spricht von Gräbern auf einer Bergkuppe, die in der Jungsteinzeit entstanden sein soll (Ganggrabstrukturen, die genauso gut etwas anderes gewesen sein könnten).
Später – nach der Jungsteinzeit – hätten sich nach Aussage der Wissenschaft die Kelten der Anhöhe „bemächtigt“ und dort ein Oppidum errichtet, das anschließend die Römer besetzten. Im Jahre 57 v. Chr. besiegte dort Julius Cäsar’s Leutnant Quintes Titurius Sabinus mit 18.000 Mann vom Berg Castre aus die Gallier des Stammes Unelles unter Virodovix. Das war's dann aber noch lange nicht mit den Kriegstreiben.
Gegen Ende des 2. Weltkriegs „tobte“ dort ebenfalls „der Bär“: Die Amerikaner beannten den Mont Castre in eigener Manier „Hügel 122“ um. Dort fand eine der wichtigsten Schlachten der Normandie-Invasion statt. Ende Juni 1944, nach der Befreiung von Cherbourg, orientierte sich das 8. US Corps in südliche Richtung. Die Generaloffensive wurde am 3. Juli 1944 gestartet. Die 79. und 90. US Infanteriedivision (DIUS), die von der 82. US Airborne unterstützt wurde, hielt die Front auf der Linie zwischen den Ortschaften Portbail und Baupte. Das Ziel des 90. DIUS war es, die Höhen zwischen Lithaire und den Plessis-Sümpfen einzunehmen. Der Angriff begann morgens um 5:30 und ermöglichte teilweise die „Befreiung“ von Pretot, der St-Jores-Kreuzung und von St.-Suzanne. Nach sehr heftigen Kämpfen gegen die deutsche Armee erreichten die 358. und 359. US Infanterieregimenter (RIUS) des 90. DIUS am Abend des 5. Juli 1944 die Stützpunkte an der Ost- und Nordflanke des Mont Castre. Die Positionen, die die Amerikaner zwischen der Windmühle von Gerville und dem römischen Lager über die Steinbrüche des Mont Castre einnahmen, wurden von deutschen Divisionen anschließend kurzerhand zurückerobert.
Am 8. Juli 1944 stand die 8. DIUS vor ihrer Feuertaufe, als sie von der Rue du Bocage aus in Richtung Mobecq, Gerville und Vesly angriff. Sie erlitt bei diesem Versuch schwere Verluste. Am 10. Juli 1944 waren die 358. und 359. RIUS an der Reihe, um von Südosten her anzugreifen. Nachts erreichten sie den südlichen Rand des Mont Castre. Von den 19 Offizieren und 582 Männern des 358. RIUS wurden 11 Offiziere und 343 Männer getötet oder verwundet. Am 11. Juli 1944 um Mitternacht erreichten die US-Truppen das Dorf Lastelle. Am 12. Juli 1944 eroberte der 357. RIUS nach acht Tagen Kampfzeit Plessis. Am Abend schob sich die Front durch die Weiler Roquefer, das kleine St. Germain, Tyrellerie und Valoiserie. Der Zusammenbruch der deutschen Mahlmann-Linie, die Eroberung des Mont Castre und die Befreiung von Plessis erforderten neun Tage Kampfzeit und kosteten die 90. DIUS 5.000 Mann. Die Amerikaner brauchten weitere fünfzehn Tage, um die acht Kilometer, die sie von Périers trennten, die am 27. Juli 1944 befreit wurden, zurückzulegen.
Wenn man die Opfer des 2. Weltkriegs dort mit denen von Cäsar zusammenrechnet, kann man dort von wahrlich blutgetränkter Erde sprechen.
Die besonderen Rotfärbungen ausgewählter Gang"grab"stelen ist mir schon bei anderen Dolmen der Normandie aufgefallen.
Wie eingangs erwähnt, befinden sich auf der Anhöhe wie übrigens auch in weiteren Wäldern in der Nähe mehrere Allées couvertes (Ganggräber, die ihre Bezeichnung nicht unbedingt verdienen). Diejenigen, die ich offenbar noch sehen konnte, wurden 1966 von einem Bernard Edeine „restauriert“ (das dürfte erfahrungsgemäß zu großen Verfälschungen des heutigen Bildes geführt haben). Ein „Gang“ besteht aus einer nach Osten und Westen ausgerichteten Kammern, die von einem Dutzend Blöcke in zwei parallelen Reihen flankiert wird. Allerdings fehlen die Deckenplatten. Drei Platten teilen den Eingang in zwei Teile. Zusätzlich wurde die Kammer durch flache, 40 bis 50 cm hohe Steintrennwände verschlossen, die an der Kante angebracht wurden. Der Raum war 8 m lang, 1,12 m hoch und 1 m breit und hatte eine grobe Pflasterung.
Der seinerzeit (heute nicht mehr) überdachte Gang war von einem Steinhaufen umgeben, der von kleinen, 30 bis 70 cm hohen Platten begrenzt war, die am Rand platziert waren. Dieser Verbund wurde – parallel zur Kammer auf der Nord- und Südseite – halbkreisförmig nach Westen ausgerichtet und verband den Eingang auf der Ostseite. Bei den Ausgrabungen wurden kleine Tonanhänger, Spuren von Holzkohle, sehr kleine Keramikscherben im galloromanischen Stil und sechs Feuersteinklingenfragmente entdeckt. Die Nutzung der Formation stammt lt. Mainstream-Wissenschaft aus der Jungsteinzeit (3.000 bis 2.500 v. Chr.). Nicht einer dieser Funde lässt auf eine Grabsituation schließen.
Nach dieser Kriegsszenarien ist dort kaum noch eine optische Verbindung der teilweise weit verstreuten Steine sicht- bzw. erkennbar. Ich fand dort oben neben den zwei „Gang“strukturen auf einer Kuhweide zahlreiche Felsen – wie von einer Explosion dort verteilt.
Auf der hinterliegenden Viehweide sind zahlreiche Felsen unterschiedlichster Größe verstreut, die es wert wären, auf Petroglyphen hin untersucht zu werden – vielleicht zu einer besseren Jahreszeit.
Der Mont Castre besteht aus armoricanischem Sandstein und weißem Quarz, der während der Primärzeit vor 500 Millionen Jahren (500 Ma) gebildet wurde. Der Sandstein liegt auf einem älteren Sockel aus fast senkrecht ausgerichtetem Schiefer und ist mit jüngeren Schieferschichten bedeckt. Der Mont Castre bildet einen Horst (hoher Teil), der zwei zusammengehörende Becken (eher Sümpfe) voneinander trennt, die während des Tertiärs und Quartärs von einer dicken Schicht mariner Sedimente gefüllt wurden. Diese beiden Becken bilden das einzige bedeutende Grundwasserreseroire im Departement La Manche. Quarzit ist ein sehr hartes Gestein, das im Straßenbau verwendet wird. Es wurde bereits 1863 dort im Steinbruchbetrieb abgebaut, als die westliche Granitgesellschaft von der Gemeinde eine Nutzungskonzession erhielt. Drei Steinbrüche waren seinerzeit aktiv, um den Berg auseinanderzunehmen.1884 gab’s dann noch den Zuschlag für den Bau der Eisenbahn zwischen Carentan und Carteret. Die entsprechende Firma nahm den ersten dampfgetriebenen Steinbrecher in Betrieb und verband den Steinbruch mit der Bahnlinie.
Es ist zu bezweifeln, dass sämtliche riesigen Felsen in ihrer behauenen Form lediglich das Ergebnis von Steinbruchtätigkeiten sind bzw. waren. Ich habe zahlreiche riesige Felsblöcke auf dem Bergkamm vorgefunden, die auf formgebende Bearbeitungsspuren hindeuten.
Törtchenschnitte – etwa eine geologische "Blüte" der Natur?
Alte vor sich hinrostende Loren sind unübersehbare Spuren des Abbaubetriebs seit dem 19. Jhd.
Oberhalb der ehemaligen Abbruchwand befindet sich die römische Ruine.
1894 wurde fast die gesamte Pflastersteinproduktion per Bahn nach Paris transportiert. 1920 wurde das Gelände von der Western Quarry Company gekauft, die es bis 1978 betrieb. Nach der Sanierung wurde das Gelände 1994 als Erholungsgebiet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Vom 11.-14. Jahrhundert entstand das Dorf Lithaire, gegründet von Wikingern. Es wurde auf der Spitze des Hügels errichtet und liegt oberhalb des Senelle-Tals. Der Blick reicht von Osten und Westen bis zum Meer. Diese topografische Lage könnte der Ursprung des Ortsnamens sein, denn der Ortsname Lithaire stammt aus dem Nordischen und bedeutet in etwa „Schwiegereltern". Während des Mittelalters entstand auf den Ruinen der Mahnwache des römischen Castrums eine Burg sowie eine Kapelle auf den Resten eines druidischen Altars. Letztere habe ich noch nicht besichtigt, hole es aber bei besserem Wetter gewiss nach.
Manche denken, die Invasionsstrände der Normandie seien schon gruselig genug angesichts der vielen Menschen, die dort um's Leben kamen. Der Mt. Castre kann sich trotz idyllischer Aufmachung in die Formation der kriegerischen Schauplätze einreihen. Die Spuren dort sind so vielfältig und durchmischt, wie ich es an keiner anderen Stelle bisher erlebt habe. Um möglichst wenig zu übersehen, lohnen sich durchaus mehrere Ausflüge dorthin.
Warum Google aus dem Mont Castre den Mont Castré gemacht hat, erklärt sich mir nicht. Vielleicht haben Geschichte und Zustand ihren Gutteil dazu beigetragen.