Dineshkannambadi at English Wikipedia, Mantapa (hall) in Hoysaleshvara Temple at Halebidu, CC BY-SA 3.0
Abbildung: Perfekt gedrehte Säulen – aber mit welcher Technik ?
Ich bin unlängst über die Frage nach der Säulenherstellung eines indischen Tempels gestolpert, die mir seither keine Ruhe lässt.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist der Hoysaleshwara-Tempel, auch Halebidu-Tempel genannt, ein Hindu-Tempel aus dem 12. Jahrhundert, der ursprünglich Shiva gewidmet wurde.
Es ist das größte Denkmal in Halebidu, einer Stadt im Bundesstaat Karnataka, die als ehemalige Hauptstadt des Hoysala-Reiches erwähnt wird. Der Tempel wurde an den Ufern eines großen künstlichen Sees erbaut und von König Vishnuvardhana vom Hoysala-Reich gesponsert. Der Bau begann um 1121 n. Chr. und wurde 1160 n. Chr. abgeschlossen (so lauten jedenfalls die Aufzeichnungen). Im frühen 14. Jahrhundert wurde Halebidu zweimal von den muslimischen Armeen des Sultanats Delhi aus Nordindien geplündert und verwüstet, der Tempel und die Hauptstadt verfielen in einen Zustand der Verwahrlosung.
Dineshkannambadi at English Wikipedia, Horizontal moldings in Hoysaleshvara Temple at Halebidu, CC BY-SA 3.0
Es würde sicherlich den Rahmen sprengen, sich lang und breit über die ornamentgewaltige und symbolträchtige Zwillingstempel-Struktur auszulassen, die sich in östlicher Richtung dem Sonnenaufgang zuwendet. Man erkennt schon von weitem, dass die Außenmauern der Tempelanlage aufwendig bearbeitet wurden. Die Außenwand des Tempels stellt eine malerische Erzählung hinduistischer Epen mit großen Tafeln dar, auf denen "das gesamte Pantheon hinduistischer Gottheiten präsentiert wird, es ist ein Handbuch hinduistischer Ikonographie", so Shadakshari Settar.
Der Tempel wurde aus chloritischem Schiefer zusammengesetzt – auch Speckstein genannt. Speckstein ist zunächst einmal weich (Mohshärte = 1) und lässt sich leichter in komplizierte Formen schneiden, härtet aber im Laufe der Zeit an der Luft aus.
Abbildung: Hier sieht man ansatzweise regelmäßige Riefenstrukturen in der teilweise polierten Oberfläche, die auf Maschinenspuren hindeuten könnten >> Bildquelle (gemeinfrei) Lizenz: © Sen (Sankarshan), Flickr (Mouseover und Click über/auf das Bild für Urheber- und Lizenzgeberangabe); auf der Grundlage von en.wikipedia.org/wiki/Hoysaleswara_Temple
Das gilt selbstverständlich auch für die voluminösen und kunstvollen Säulen, die bei näherer Betrachtung auch an den Stellen regelmäßige kreisförmige Riefenstrukturen aufweisen, an denen man eigentlich eine durchgehend glatte Oberfläche vermutet. Das legt die Vermutung nahe, dass hier Maschinen am Werk waren. Für die Wissenschaft ist das Drechseln weiter kein Geheimnis, alldieweil man einräumt, dass diese Kunstfertigkeit bis weit in die Antike zurückreicht. Zitat Wikipedia : "… wobei zunächst nur kleinere Werkstücke bearbeitet wurden. Diese wurden meist horizontal eingespannt, mit einem Fiedelbohrer gedreht und mit einem Metallmesser bearbeitet…" Weiterhin heisst es "Im Laufe der Zeit wurden die zu bearbeitenden Werkstücke immer größer und erreichten ihren Höhepunkt in den gedrechselten Specksteinsäulen der Chalukya- und Hoysala-Zeit des mittelalterlichen Indien."
Dineshkannambadi at English Wikipedia, Mantapa (hall) in Hoysaleshvara Temple at Halebidu, CC BY-SA 3.0
Man will uns in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es für kleine Werkstücke schon mal die eine oder andere zerspanende mechanische Vorrichtung gab, bei größeren schweigt man sich allerdings aus. Wie sollte es also aus heutiger Sicht möglich gewesen sein, die 4 Meter hohen tonnenschweren Säulen im Innenbereich des Tempels so zu drechseln, dass man sogar noch Riefen nachweisen kann. Solche Riefen lassen ja zweifellos auf eine maschinelle Fertigung schließen. Mit welchen Drehbänken haben wir es also zu tun … ? Wie sind sie betrieben worden … etwa mit einem Pedal??! Handarbeit ist jedenfalls aus meiner Sicht auszuschließen.
In einem Video (s.u.) habe ich gesehen, dass man vor Ort in den filigranen Schreindarstellungen auch kombinierte Zahnräder als Darstellung gefunden hat, die man mit etwas Phantasie mit Getriebetechnologien und mechanischen Übersetzungen in Zusammenhang bringen könnte. Haben wir es hier also vor 900 Jahren mit einer hochtechnischen Gesellschaft zu tun, die sich bereits modernstem Präzisionswerkzeugs bediente? Die Hammer- und Meißeltheorie bei der Fertigstellung scheint zumindest hinsichtlich der Säulenfertigung vom Tisch zu sein.
Die Bearbeitung einer 4 Meter hohen Steinsäule wäre auch heute noch eine sehr schwierige Aufgabe. Wie wurden diese Säulen in der Antike mit erstaunlicher Perfektion bearbeitet? Haben die alten Baumeister Maschinen und fortschrittliche Werkzeuge nach unseren heutigen Maßstäben genutzt? Wenn das wahr ist, ist es dann möglich, dass sie auch diese Technologien im Innenbereich des Tempels verwendet haben?
In der Tempelanlage findet man zahlreiche Hinweise auf millimetergenaue Präzisionsarbeiten. Man fand heraus, dass dort Schädelstrukturen von abgebildeten Gottheiten komplett ausgehöhlt waren, dafür jedoch allerdings nur winzigste Öffnungen als Zugang zur Verfügung standen. Um so etwas zu bewerkstelligen, dürften auch die filigransten Handarbeits-Experten an ihre Grenzen stoßen.
Über weitere Tests konnte man feststellen, dass bei der Durchleuchtung kleinster Spalten von 2 Millimetern der dahinterliegende Bereich einer Reliefstruktur komplett ausgehöhlt war, da das Licht an anderer Stelle (einer ebenso "engen" Austrittsöffnung) wieder ungebrochen austrat.
Man könnte nun annehmen, dass die dahinterliegende Öffnung bzw. der freie unzugängliche Bereich dadurch zustande kam, dass zwei separate Gesteinsblöcke miteinander verbunden wurden – die Gravuren des einen Blocks also von der Rückseite des Reliefs gefertigt wurden, bevor man beide Blöcke zusammensetzte. Dies ist aber nach Aussage von Archäologen nicht der Fall. Sie bestätigen, dass wir es hier mit einem geschlossenen Felsblock zu tun haben, aus dem die besagten Strukturen herausgearbeitet wurden. Getrickst wurde also nicht und man kann versichert sein, dass 2 mm breite Meißel nicht für eine solche Aushöhlung in Frage kamen. Bleibt also das Rätsel, wie man so etwas entstehen lassen konnte.
Im Grunde sind auch die hochpolierten Oberflächen der beiden Schreine (Nord-/Süd-Nandi) im Außenbereich ein Mysterium, da man sich buchstäblich in ihnen spiegeln kann. Und das nach immerhin 900 Jahren fortlaufender Beschädigungen und äußerer Umwelteinflüsse. Vielleicht sind ja auch entsprechende Polierwerkzeuge verwendet worden, die man heutzutage ebenfalls zum Einsatz bringt. Manche Reliefs bilden Pinienzapfen ab, obwohl es keinerlei Pinien in Indien gibt. Haben wir es hier mit Polieraufsätzen aus dem Werkzeugkoffer zu tun? OK, das Beispiel ist ein wenig weit hergeholt. Eine Assoziation mit der Zirbeldrüse scheint hier möglicherweise wahrscheinlicher zu sein. In diesem Punkt dürften mehrere Symboliken eine gleichberechtigte Bedeutung haben.
Abbildung des polierten Nordschreins im Außenbereich:
Ms Sarah Welch, 12th-century first Nandi facing Shiva shrine at Shaivism Hindu temple Hoysaleswara arts Halebidu Karnataka India 2, CC BY-SA 4.0
Ein weiteres unerklärliches Phänomen dürften die Säulen im Hazara-Rama-Tempel sein. Das Hauptmerkmal dieses Tempels sind die fein geschnitzten Basaltsäulen im Innenbereich, die die Inkarnationen von Lord Vishnu zeigen. Man kann dort auch die Skulpturen bewundern, die die wichtigsten Ereignisse aus dem Ramayana erzählen.
Leider liegt mir hier kein ausreichendes Material vor, über Maschinenspuren nachzuweisen. Es dürfte hier aber genauso davon auszugehen sein, dass eine maschinelle Fertigung vorliegt. Da Basalt eine Mohshärte von 5-6 hat, schließe ich ohnehin eine manuelle symmetrische Fertigung von kunstvollen Säulen aus.