Das Weinstädtchen an der Mosel kennt bestimmt jeder, auf einer Stippvisite habe ich mir ein paar Gebäude dort etwas genauer angesehen …
Das Örtchen ist nicht nur idyllisch gelegen, seine Architektur ist auch stellenweise malerisch, absolut bilderbuchtauglich. Wer als Nicht-Europäer ein schönes Pendant zu Rothenburg ob der Tauber sucht, ist hier schon prima aufgehoben: Bernkastel an der Mosel ist ein ansprechender Zwischenaufenthalt mit mittelalterlichem Flair für weitere Touren in alle Himmelsrichtungen. Vielleicht bleibt man auch etwas länger, beispielsweise für ein langes Wochenende und flaniert an der Mosel oder in den dahinter liegenden Weinberge. Die Weinlokale vor Ort entschädigen den Besucher für ausgiebige Wanderungen oder Fahrradtouren in die nähere Umgebung.
Typische Panaoramaansicht des alten Ortskerns: Dieses Weinlokal aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts befindet sich schon in einer atemberaubenden Schieflage.
Bernkastel ist ist nicht nur mittelalterlich geprägt, sondern zeigt sich auch im Ortskern von verschiedenen Seiten. Da stehen Gebäude Seite an Seite, die hohe Altersunterschiede aufweisen, dennoch weit zurückdatiert sind – mal aus dem 15., mal aus dem 17. Jahrhundert. Seltsamerweise sind mir keine Häuser zwischen diesen beiden Zeiträumen aufgefallen. Ich habe dann mal nachgeschaut und musste einräumen, dass es schon ein paar wenige gibt, die aber hauptsächlich klerikalen Zwecken zugeordnet werden können. Daneben noch 1 oder 2 Wohnhäuser, das war es schon aus dieser Zeit, falls man den Überlieferungen trauen kann (s. auch Liste der Kulturdenkmäler in Bernkastel-Kues). Meine Einschätzung hat sich also nicht vollumfänglich bestätigt, doch wundert es ein wenig, dass innerhalb von 100 Jahren nur so wenig Häuser gebaut worden sein sollen. Ist von 1500-1600 etwas besonderes vorgefallen …?
Schaut man sich die Architektur der vielen alten Häuser an, wundert es ein wenig, dass das Erdgeschoss stellenweise mindestens eine gute Treppe tiefer liegt. Seit geraumer Zeit versuche ich, auf solche Gegebenheiten zu achten, die vielen anderen eher nebensächlich erscheinen oder erst gar nicht ins Bewusstssein treten.
Also frage ich mich: Was könnte die damaligen Architekten der idyllischen Fachwerkhäuser dazu bewogen haben, Türen für Zwerge zu bauen und Fenster zu setzen, aus denen man nur aus der Froschperspektive einen Blick nach draußen riskieren kann?
OK, eines vorab: Bernkastel wurde seit jeher von Überschwemmungen der Mosel heimgesucht. Beeindruckend in diesem Zusammenhang ist eine Eisdiele im Altstadtzentrum, an der man die Wasserstände der Katastrophen ablesen kann.
Daran kann man erkennen, dass die Überflutungen der 90er Jahre im letzten Jahrhundert noch vergleichsweise harmlos gewesen sein müssen, gegen die Ereignisse vom 17. - 19. Jahrhundert.
Dabei hat mich aber auch gleich stutzig gemacht, dass man sich beim Betreten des Ladens erstmal bücken muss, um hereinzukommen. Es geht eine Treppe nach unten und ich befinde mich in einer Art Souterrain. Ad hoc musste ich mir vorstellen, wie das Ganze wohl bei der Flut im 17. Jahrhundert ausgesehen haben musste. Damals stand dann praktisch das Wasser bis zur Decke.
Hier sieht man, dass das Erdgeschoss dieser Eisdiele tiefer liegt. Nach Rücksprache mit dem Pächter versicherte man mir, dass sich darunter sogar noch ein Keller befände. Es steht also bei den tiefen Fenstern und der Eingang mit der Treppe nach unten außer Frage, dass sich das Erdreich um das Gebäude mit den Jahrhunderten aufgetürmt hat.
Solche Eingänge lassen erahnen, wie hoch sich das Erdreich im Laufe der Jahrhunderte rund um die Häuser aufgetürmt haben muss.
Prompt poppte sich in mir die Frage auf, warum man in einer solch heiklen Überschwemmungs-Situation überhaupt so merkwürdig gebaut hat. OK, zunächst einmal hat man das ja nicht wissen können, dass einem solche Katastrophen bevorstehen, als das Haus möglicherweise gebaut wurde. Stimmt das?
Nein, bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass es solche Überflustungen bereits 1342 gab. Aus dem sogenannten Magdalenenhochwasser, der Mutter aller mitteleuropäischen Naturkatastrophen, hätte man im Grunde lernen können. Hier kam es angeblich und gleichzeitig seltsamerweise über 4 Tage Dauerregen (3500 m³/s) im Sommer, was im Grunde alle deutschen Flüsse in erheblichem Maße zum Überlaufen brachte. Interessanterweise soll das Hochwasser auch zu unendlich vielen Gebäudeeinstürzen (Fachwerkhäuser sollen "eingeknickt" sein) geführt haben, was mich dann doch etwas wundert, nach nur vier Tagen Regen. Aber das ist vielleicht ein anderes Thema. 1572/73 soll es dann mit dem Hochwasser auch noch mal zur Sache gegangen sein kann, bis dann das Extremereignis von 1651 ähnlich abgelaufen sein soll wie später 1780. (Link).
Zur Burg geht es weiter bergauf, die Gebäudeseitentüren verschwinden unter der Straßenkante
Bernkastel-Kues ist ja am Fuße der Weinberge in "leichter" Hanglage gebaut worden. Mir erklärt sich die Situation so, dass die überquillende Mosel zu kräftigen Überschwemmungen in den Häusern geführt hat, jedoch auch genauso viel Schlamm von oben – sprich: von den dahinterliegenden Höhen – hangabwärts floss. Das lässt sich bei der offiziellen Geschichtsschreibung bestenfalls indirekt herauslesen. Zeugenaussagen berichten jedoch auch in moderner Zeit "Ich saß gemütlich auf meiner Couch und wollte Fernsehen gucken, da fing es plötzlich zu Hageln an. Vor lauter Hagel konnte man nichts mehr sehen. Als ich dann nach draußen ging, sah ich, dass viel Schlamm und Wasser den Berg heruntergeschossen kam und mein Keller voll lief." (nach einem Starkregen in der Gegend; Quelle).
Fenster bis zum Boden, der Eingang zum Erdgeschoss eine Treppe tiefer. Ein Bild, das sich vor Ort einprägt.
Nur so lässt sich die Situation zahlreicher Häuser vor Ort erklären, die so aussehen. Ihre Türen sind tiefer gelegt, man steigt jeweils eine Treppe hinab. Außen müssen die Schlammfluten nach den Sturzfluten ihren festen Platz eingenommen haben, die Verschüttungen konnten nicht zur Gänze abtransportiert werden. Demzufolge sind auch die überschwemmten Straßen in den höheren Lagen des Ortes etwas ausgeprägter als unten im Altstadtkern und weiter runter zum Hafen.
Fenster verschwinden hangaufwärts zunehmend unter den Straßen.
Ob man den Wetteranalysen (gerade zur Magdalenenhochwassersituation 1342) glauben möchte, sein einmal dahin gestellt. Wie immer sind die Ursachen der damaligen Ereignisse, insbesondere bei mitteleuropäischen Ausmaßen, schwer bis gar nicht zu recherchieren.
So tief geht es runter: Eine Baustelle oberhalb des Uferbereichs, seitlich der Landstraße E42, wurde jüngst metertief ausgeschachtet. Man erkennt dort an den Grundmauern, ihre ursprünglichen Öffnungen und dem beseitigten Erdreich, welches Inferno einst von oben hangabwärts gekommen sein muss. Die Bevölkerung hat aus der jeweiligen Situation eben immer das Beste gemacht, was es konnte. Im Prinzip bekam es der Ort also ständig faustdicken von zwei Seiten.
Die rote Linie entspricht der Straßenkante