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Seit ich zurückdenken kann, kursieren Gerüchte über die unzulängliche Reinlichkeit der "damaligen" Schlossbewohner von Versailles.
Wikipedia gibt sich Mühe, den Umstand zu normalisiern: „Es gab, wie damals in ganz Europa üblich, im Schloss weder fließendes Wasser noch fest installierte Toiletten. Man verrichtete die Notdurft in Leibstühle und Nachttöpfe, deren Inhalte von der Dienerschaft in bis zu 29 Sickergruben in der Umgebung des Schlosses ausgeleert wurden. Ludwig XVI. ließ sich Frankreichs erstes Wasserklosett mit Toilettenspülung einbauen. Das Schloss hatte wiederholt mit Ratten- und Mäuseplagen zu kämpfen und einmal jährlich begab sich der Hof nach Fontainebleau, damit der Versailler Palast in dieser Zeit von Grund auf gereinigt werden konnte. Der Körperpflege wurde im 17. Jahrhundert zwar noch kein übermäßiger Stellenwert zugeschrieben, doch bereits Ludwig XIV. ließ sich im Untergeschoss des Corps de Logis mehrere Zimmer umfassende Badegemächer einrichten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts fanden sich auch zunehmend Baderäume in den Appartements der königlichen Familienmitglieder, während sich die übrigen Schlossbewohner weiterhin mit feuchten Tüchern und Waschschüsseln behelfen mussten.“
Jahrhundertelang keine Toiletten oder Badeeinrichtungen? Soweit eigentlich kein Problem, obwohl schwer zu glauben. Die ZEIT räumt in einem Artikel ein: „Sicherlich hatte man damals ein anderes Verständnis von Hygiene als heute, und vor allem die einfachen Menschen haben nach unseren Begriffen vermutlich oft gestunken.“
OK, wieviele Bedienstete arbeiteten in Versailles im 17. Jahrhundert? Man spricht von 4.000 Bediensteten, 3.000 Dauergästen bei Hofe, mitunter alleine 10.000 Personen im Hauptgebäude. Gehen wir also davon aus, dass der höhere Adel schon etwas von Reinlichkeit hielt und sich mit mobilen Klos (sogenannten Leibstühlen) „über Wasser“ hielt.
Foto: © Prosopee, Vaux le Vicomte bathroom chair, CC BY-SA 3.0
Hier ein sogenannter "Leibstuhl", in diesem Fall allerdings vom Château de Vaux-le-Vicomte (Wikimedia Commons, Quelle/Link); Es müssten ja, wenn dieser Minimalismus Voraussetzung war, Tausende von diesen Dingern auch im Schloss Versailles rumgestanden haben … (schließlich teilen sich Adlige dann ja wohl kaum ihre Leibstühle, oder?)
Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass sowohl Personal als auch die restlichen Gäste ebenfalls solche Privilegien genossen. Und wie kam ihre Ungepflegtheit dann bei ihren Herrschaften bzw. Gastgebern an? Konnte man diese schrecklichen Gerüche dann als Privilegierter, der in die Gunst des Badens kam, überhaupt ertragen? Wie gesagt, erst ab Ludwig XVI soll es vereinzelt Wasserklos im Schloss gegeben haben. Man unterzog sich vorher einem aufwändigen parfümierten Reinigungsprozess, der keinen hohen Verbrauch an frischen Handtüchern oder sonstigen Textilien erforderte. Angeblich wollte man auf diese Weise Wasser sparen. Historiker sind heute teilweise der Ansicht, dass der Prozess des „Sich-Nicht-Waschens“ deshalb aber nicht automatisch zu mangelnder Hygiene im Zeitalter des Barock führte. Aber selbst das erklärt nicht den Mangel an Toiletten. Angeblich hätte man der Herkunft des Wassers damals aufgrund mangelnder Wasserqualität nicht übermäßig getraut. Man spricht hier von Infektionskrankheiten, die man sich bereits bei öffentlichen Badehäusern hätte einfangen können. Aber keine fest installierten Klos mit Wasserspülung? Fehlte es am technischen Know-How? … Schauen wir uns im Schloss doch einmal um, wie es um die Wasserversorgung bestellt war.
Foto: © Michal Osmenda from Brussels, Belgium, Gardens at Chateau de Versailles, France (8132658193), CC BY 2.0
Aus dem zentralen Fenster des Spiegelsaals blickt der Besucher auf ein Panorama, das den Blick vom Wasserparterre zum Horizont führt. Diese ursprüngliche Perspektive, die der Herrschaft Ludwigs XIV. vorausging, wurde vom Gärtner André Le Nôtre entwickelt und verlängert, indem er den Königsweg verbreiterte und den Grand Canal grub. Diese weitläufige Perspektive erstreckt sich von der Fassade des Château de Versailles bis zu den Geländern des Parks.
1661 beauftragte Ludwig XIV. André Le Nôtre mit der Planung und Gestaltung der Gärten von Versailles, die seiner Meinung nach ebenso wichtig waren wie das Schloss. Die Arbeiten wurden zeitgleich mit denen für den Palast durchgeführt und dauerten vierzig Jahre. Aber André Le Nôtre arbeitete nicht allein: Jean-Baptiste Colbert, Superintendent der königlichen Gebäude, leitete das Projekt von 1664 bis 1683; Charles Le Brun, der im Januar 1664 zum Ersten Maler des Königs ernannt wurde, fertigte die Zeichnungen für eine große Anzahl von Statuen und Brunnen an; und wenig später entwarf der Architekt Jules Hardouin-Mansart zunehmend Landschaftspläne und baute die Orangerie. Schließlich ließ sich der König alle Projekte vorlegen und wollte die "Details von allem".
Die Gestaltung der Gärten erforderte einen enormen Aufwand. Für die Anlage der Blumenbeete, der Orangerie, der Brunnen und des Kanals, wo sich früher nur Wälder, Wiesen und Sümpfe befanden, mussten große Mengen Erde bewegt werden. Die Erde wurde in Schubkarren transportiert, die Bäume mit dem Wagen aus allen Provinzen Frankreichs gebracht, und Tausende von Männern, manchmal ganze Regimenter, nahmen an diesem riesigen Unternehmen teil.
Seit 1992 wurden die Gärten nach und nach wieder bepflanzt, und nach dem verheerenden Sturm im Dezember 1999 beschleunigten sich die Arbeiten so weit, dass etliche Abschnitte bereits wieder in ihrem ursprünglichen Aussehen hergestellt wurden.
Versailles erstreckte sich einstmals über 37.000 Hektar und war damit größer als San Francisco. Selbst wenn hiervon heute nur noch 2.014 Hektar übrig sind, ist die Fläche immer noch doppelt so groß wie die des New York Central Parks. Das Schloss verfügt über 700 Räume, über 2.000 Fenster, 1.250 Kamine, 67 Treppenhäuser, 5.000 Möbelstücke, 6.000 Gemälde, 352 Schornsteine, Hunderte von Spiegeln (allein 357 im Spiegelsaal), Dutzende von Kronleuchtern (43 im Spiegelsaal) und sogar eine eigene Oper! Der Palast beansprucht 67.000 Quadratmeter an Fläche.
Pierre Patel artist QS:P170,Q2749608, Chateau de Versailles 1668 Pierre Patel, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Ölgemälde von Pierre Patel aus dem Jahre 1668 – Die "Feuchtgebiete" im Außenbezirk entwickelten sich.
In den Landschaftsgärten von Versailles finden wir 200.000 Bäume, und jedes Jahr werden 210.000 Blumen gepflanzt.
Der Grand Canal, der in Form eines Kreuzes gebaut wurde, verläuft von Osten nach Westen mit Verteiler nach Norden zum Trianon-Palast und nach Süden zur Menagerie (ein Vorläufer des modernen Zoos). Die markante Ost-West-Orientierung war Absicht. Man wünschte sich, dass die Sonne in Ausrichtung des Palastes auf- und untergehen würde. Während die französische Bevölkerung verhungerte, war Ludwig mit dem Problem beschäftigt, sein gigantisches Gelände zu bewässern. Beim Anlegen des Grand Canal wurde eine Art Slow-Motion Perspektivillusion mit einbezogen, die den Grand Canal optisch verlängert und den Park visuell noch weiter in die Ferne rückt. Man spricht hier von Anamorphose bzw. Technik der Bildverzerrung. Alles war so gewollt …
Jean Delagrive artist QS:P170,Q3171626, Plan de Versailles - Gesamtplan von Delagrife 1746, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Gesamtplan von Versailles (Delagrife, 1746); Karte von Versailles, dem kleinen Park und seinen Nebengebäuden, wo die Standorte der einzelnen Häuser in dieser Stadt, die Pläne des Schlosses und der Hotels sowie die Verteilung der Gärten und Haine gekennzeichnet sind; Pater Delagrive (1689-1757); (Wikimedia Commons, Quelle/Link)
Anfangs nur von kleinen Teichen, Rinnsalen und Sümpfen durchzogen, soll sich Ludwig der XIV. zusammen mit dem Gartenarchitekten Le Nôtre daran gesetzt haben, die Parkanlage mit einem komplexen System aus Reservoirs, Pumpen, Leitungen und Aquädukten auszustatten, um hauptsächlich Bassins und Fontänen zu betreiben. Obwohl sich das Schloss in einem feuchten und sumpfigen Gebiet befindet, fehlte es am Wasser, um die überdimensionierten Wünsche des Königs zu befriedigen.
Wohlgemerkt: Bassins, Kaskaden, Zierbrunnen, Wasserspiele und Fontänen benötigten Unmengen an Wasser, das zuletzt sogar über den 110 km langen Eure-Kanals beschafft werden sollte. Diesen galt es allerdings erst einmal anzulegen. Fertig wurde er zwar nicht, allerdings waren zeitweise 30.000 Menschen mit seiner Erbauung beschäftigt - einem Zehntel des gesamten französischen Militärs. Man hob den Kanal aus, baute ein Aquädukt und konstruierte alle notwendigen Schifffahrtswege und Schleusen, um die Arbeiter mit Rohstoffen zu versorgen.
Ohne den Ausbruch des Krieges, der die Arbeit zum Stillstand brachte, wäre Ludwigs großes Wasserproblem für seine Außenbewässerung gelöst worden.
Willem_Swidde ]. Author: Willem_Swidde Publisher: De Lespine Author: Willem_Swidde Publisher: De Lespine, Atlas Van der Hagen-KW1049B12 023-Veue et perspective du Chateau et Jardin de Versailles, comme il est apresant, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Im Außenbereich noch etwas "trocken". Diese Ansicht des Schlosses und der Gärten von Versailles wurde von dem Graveur Willem Swidde (um 1660-1697) geschaffen. Swidden hat sich vor allem auf Landschafts- und Gartendrucke spezialisiert. Für den Verleger De Lespine produzierte er zwischen 1683 und 1684 eine Reihe von Ansichten der berühmten Gärten von Versailles. Inspiriert wurde er von einer ähnlichen Serie von Drucken, die in Paris vom französischen Kupferstecher Nicolas Perelle veröffentlicht wurden.
Wie gesagt: Ludwig hatte Probleme damit, nicht genug Wasser mit dem nötigen Druck in die Gärten gepumpt zu bekommen, um seine 1400 Brunnen gleichzeitig zu betreiben. Rettung versprach der bereits erwähnte Architekt André Le Nôtre (1613-1700), der unbestrittene Meister des Barockgartens. Seine Kenntnisse in den Bereichen Maschinenbau, Chemie und Gartenbau ließen die Brunnen von Versailles am Ende Wirklichkeit werden.
Le Nôtre schuf ein Netz von Stauseen und Kanälen, die sich 30 km außerhalb des Schlosses erstreckten. Eine riesige Pumpmaschine, die als das achte Weltwunder galt, brachte vor allem Wasser aus der Seine. Im Grunde bestand das Problem ja aus zwei Problemen: Einerseits das Wasser zu beschaffen und andererseits auch genügend Wasserdruck für die unzähligen Fontänen im Park aufzubauen.
Aufgrund von Leckagen und Ausfällen der Pumpe wurde nur die Hälfte der benötigten Wassermenge bereitgestellt. So gab Ludwig später grünes Licht für den großspurigen Plan, Wasser aus dem über 96 km entfernten Eure-Fluss (s.o.) zu beschaffen.
Vorläufig kam aber die erste "Maschine" von Marly zum Einsatz, ein Tiefbauwunder am Fuße des Hügels von Louveciennes, am Ufer der Seine – etwa 12 km von Paris entfernt. Ludwig XIV. ließ sie bauen, um Wasser aus dem Fluss zu seinen Schlössern von Versailles UND Marly zu pumpen. Der Bau dauerte 7 Jahre und wurde im Juni 1684 in Anwesenheit des Königs eingeweiht. Es galt damals als Weltwunder und war vielleicht das größte System moderner Ingenieurskunst, das zum damaligen Zeitpunkt konstruiert wurde. Hier gilt es nochmals zu beachten, dass ausschließlich die Außenanlagen versorgt wurden.
AnonymousUnknown author, MarlyBirdsye3, Bild als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Die Maschine von Marly aus der Vogelperspektive; man erahnt das Gefälle für die Pumpaktion über einen 600 Meter hohen Hügel
Vierzehn Wasserräder mit einem Durchmesser von jeweils etwa 12 Metern trieben insgesamt mehr als 250 Pumpen an, um Flusswasser durch gußeiserne Rohre zum Aquädukt Louveciennes in drei Stufen hangaufwärts zu pumpen, einem vertikalen Anstieg von 152 Metern. Bis 1817 in Betrieb, wurde es anschließend modernisiert und umgebaut, bis es schließlich bis 1963 als elektrischer Generator diente. Das Gebäude wurde 1968 abgerissen, als der Arm der Seine für die Schifffahrt umgestaltet wurde. Ein regionales Wasserwerk nutzt das Gelände nach wie vor und pumpt mit Elektromotoren Wasser aus dem Croissy-Aquifer zu einigen der ursprünglichen Speicher in Marly.
Zur anfänglichen Maschine gehörte nicht nur ein riesiges Bauwerk am Fluss selbst, sondern es erstreckte sich eine Anlage 600 Meter den gesamten Hügel hinauf, bestehend aus Pumpstationen, Lagertanks, Speichern, Rohren und einem komplizierten System von mechanischen Verbindungen, um Pumpen auf dem Hügel von den darunter liegenden Wasserrädern aus anzutreiben. Mehrere Berichte aus dieser Zeit beschreiben den höllischen Lärm, der dadurch verursacht wurde. Sechzig Wartungstechniker wurden eingestellt, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.
Nicolas de Fer artist QS:P170,Q1648130, Carte Machine de Marly, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Bei voller Kapazität soll diese Maschine 3,7 Millionen Liter in 24 Stunden zu den Marly-Speichern hochgepumpt haben. Nichts vom ursprünglichen Maschinensystem ist - bis auf das Aquädukt - erhalten geblieben. Das U-förmige Gebäude am Fuße des Hügels war Teil des ursprünglichen Komplexes. Auf dem Hügel sind heute noch Fundamentreste zu sehen. Ein kleines Bauernhaus, das von Sisley gemalt wurde, gehörte ursprünglich zu den Schmieden des Komplexes, liegt aber heute ebenfalls in Trümmern.
Der Chefingenieur für das Projekt war Arnold de Ville und der "Auftragnehmer" war Rennequin Sualem (nach dem der Kai der alten Maschine nun benannt ist).
Ludwig XIV. ließ 1684 für de Ville ein kleines Schloss errichten, um seine Arbeit zu belohnen (und sicherlich um Serviceeinsätze für die äußerst komplexen Maschinen zu erleichtern). Dieses Gebäude ist der Kern dessen, was später das Chateau du Barry werden sollte, das schließlich von Ludwig XV. an Madame du Barry übergeben wurde.
Computeranimation der damaligen Maschine von Marly; Wikimedia Commons (Quelle/Bild)
Dpendery, Machmarly3D2, CC BY-SA 4.0
Es bleibt nach wie vor die Frage offen, wie es dazu kam, dass neben einer solchen Ingenieurskunst das Ausbleiben moderner Sanitäranlagen sowie "fließend Wasser" in den Räumlichkeiten von Versailles von der Geschichtsschreibung nicht weiter thematisiert bzw. beiläufig bagatellisiert wird.
Ein abweichendes Verständnis von Hygiene kann man in diesem Zusammenhang nur schwer in den Kontext bringen. Weder am technischen Entwicklungsstand, noch an den Kenntnissen der Vorfahren dürfte es gemangelt haben. Wen es interessiert, der sollte sich einmal mit der Hygiene zu Zeiten des römischen Reiches beschäftigen: Ruinen von Aquädukten, Thermen, Kanalisation und Latrinen zeugen lange vor Versailles von einem hinreichenden technischen wie auch ästhetischem bzw. hygienischem Verständnis …
Was an Versailles nicht stimmt oder an der Geschichtsschreibung, kann sich jeder selbst beantworten. Ich möchte an dieser Stelle zwar keine voreiligen Schlüsse ziehen, jedoch euer Bewusstsein auf die Unstimmigkeiten in diesem Zusammenhang lenken.