Das Cap von Rozel an der Westküste der Normandie bietet einen idyllischen Ausblick auf die Strände um das benachbarte Cap Carteret. Der Küstenvorsprung liegt gegenüber den Kanalinseln Jersey und Guernsey. An der Kante einer erodierten Falte im Felsen sind 2012 Spuren einer etwa 80.000 Jahre alten Zivilisation aufgetaucht, die der mir persönlich bekannte Silberkünstler und Hobbyarchäologe Gilles Laisné bei einem seiner regelmäßigen Streifzüge in der Natur fand.
Nach mittlerweile 6 Jahren Ausgrabungstätigkeit wurden 183 Fuß-, 6 Hand und diverse Knieabdrücke in verfestigten Schlammschichten freigelegt, die auf die intensive Besiedlung des Ortes in geraumer Vorzeit schließen lassen. Man bemühte sich recht eifrig um eine zweifelsfreie Zuordnung uns bekannter Hominide und befindet in einem Beitrag der geometrischen Morphometrie zur Untersuchung der Hominin-Fußspuren aus dem oberpleistozänen Ort Rozel (Normandie, Frankreich; >> Quelle):
"Sie (die Fußspuren) unterscheiden sich leicht von den modernen menschlichen Proben: die Ferse und der Mittelfuß sind mediolateral breiter, was ein weniger ausgeprägtes Plantargewölbe widerspiegeln könnte. Diese anatomischen Merkmale der Fußabdrücke von Le Rozel stehen im Einklang mit unserer Kenntnis der Anatomie des Neandertalerfußes. Laufende Analysen der Auswirkungen von taphonomischen Einflüsse*) auf die Morphologie der Fußabdrücke werden dazu beitragen, unsere Interpretation der Fußabdrücke von Le Rozel zu verbessern."
Die noch zu untersuchenden Schichten werden sorgfältig in Folie verpackt, damit unvorhersehbare Naturereignisse nicht wieder ein solches Unglück auslösen wie 2013/2014.
Das klingt nach reichlichen Konjunktiven und lässt noch einiges an Interpretationsspielräumen offen. Jedenfalls ist man, ohne echte Knochenreste der Menschen dort gefunden zu haben, von der Existenz der Neandertaler an dieser Stelle überzeugt.
Ausgegrabene Tierreste und Fleischverarbeitungswerkzeuge
Ich besuchte die Ausgrabungsstätte, die noch die nächsten 20 Jahre bei Archäologen für Arbeit sorgen soll, erstmalig im August diesen Jahres und unterhielt mich am Tag der offenen Tür mit dem Archäologen Jeremy Duveau (Doktorand für Paläoanthropologie) vom naturhistorischen Museum in Paris. Er gab mir zu verstehen, dass lediglich die geologische Anordnung der Schichten sowie die Thermoluminiszenz-Methode anhand gefundener Artefakte (vor allem Werkzeuge) auf eine hinreichend "sichere" Datierung der Funde schließen lässt. Es ist auch nicht so, dass man sich ausschließlich auf die Anatomie des Neandertalerfußes beschränkt. Er gab mir zweifelsfrei zu verstehen, dass darunterliegende Erdschichten – die also älter sein mussten – Fußabdrücke unserer eigenen Spezies freigaben. Auf meine Frage, ob die Erdschichten zeitlich weit genug auseinander lagen, um von einem begegnungslosen Dasein beider Spezies (Neandertaler und Homo Sapiens) an Ort und Stelle auszugehen, antwortete er sinngemäß: 'Man kann nicht ausschließen, dass beide Spezies praktisch nebeneinander gelebt haben'. Das verstößt auch nicht gegen allgemeine Lehrmeinung, da man ja zwischenzeitlich rausgefunden hatte, dass wir heute zwischen 1 und 4 % Neandertalergene in uns tragen.
Die Verarbeitungswerkzeuge, die man dort fand, waren teilweise sehr filigran und überaus präzise bearbeitet.
Nach näherem Nachfragen, ob man in den Schichten auch ein Out-of-place Artefakt fand, kam Duveau auf eine Art Mühle, Zerkleinerer oder Häcksler zu sprechen. Etwas ähnliches fand man wohl dort und konnte es keinesfalls den üblichen Jäger- und Sammlergepflogenheiten zuordnen. Davon fehlt mir allerdings die Aufnahme. Das Stück ist scheinbar auch nicht zur Besichtigung freigegeben. Ich werde nicht locker lassen und versuchen, an ein Bild heran zu kommen.
Trotz der Bemühungen, die Ausgrabungen zu schützen, fegte in der Nacht des 31. Dezember zum 1. Januar 2014, die Flut einen Teil der Düne weg und damit wahrscheinlich auch archäologische Spuren. Das Gelände wurde seitdem durch Folie geschützt bzw. abgedeckt. Ein Zeichen dafür, dass Profiarchäologen auch nicht immer fehlerlos arbeiten.
Unter einer Fläche von ca. 100 mal 50 Metern hat man sechs Ebenen archäologischer (getrockneter halbwegs unversehrter Schlamm-) Schichten freigelegt, die lt. geborgener Überreste und Fußspuren auf Clangrößen aus 20-35 Personen schließen lassen.
Die buchstäblich bewegendsten Fußabdrücke sind die von Babyfüßen, gefolgt von zwei Fußabdrücken von Erwachsenen. Das sind sicherlich die ersten Gehversuche gewesen. Die Gruppen setzen sich aus Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern zusammen. Man geht davon aus, dass neben der Fleischverarbeitung auch ein Wohnraum vorhanden war. Vermutlich saisonale Lager für gut organisierte Gemeinschaften.
Die Fund- und Lagerstätte ist mittlerweile international bekannt für ihre Besiedlungsstrukturen und ihr Knochenmaterial, die nach 110.000 Jahren extrem gut erhalten sind, aber auch für die Originalität ihrer geschliffenen Steinindustrie: "Mikrochips", Klingen und Lamellen.
Man geht übrigens davon aus, dass das Meer weitaus entfernter war, als sich die Neandertaler dort aufhielten.
Ich werde im Laufe der Zeit noch weiteres Bild- und Infomaterial von dieser Fundstelle zufügen.